ExtenAls nun die Arbeiter aus den Eisenhämmern und den Messerfabriken arbeitslos waren, mussten sie sich nach neuen Arbeitsmöglichkeiten umsehen. Um die Jahrhundertwende brachten unternehmende, tüchtige und gescheite Männer aus Extens Bevölkerung das Korbmacherhandwerk zur Blüte und schafften so Arbeit für das ganze Dorf. - Körbe oder Korbwaren sind Geflechte aus Ruten, Zweigen, gespaltenem Holz, Rattan, Bambus, Esparto, Schilf oder Palmenblattrippen. Das gewöhnlichste Material zum Korbflechten sind Weidenzweige von speziell zu diesem Zweck angepflanzten Korbweiden.

 

(rechts, Korbfabrikant Hermann Meyer 1910)

Hermann MeyerDamals stellten die Glasfabriken Heye – Obernkirchen, 1799 gegründet, und Stoevesandt – Rinteln, 1834 gegründet, Großglas her, d.h. Ballons von 5 bis 60 Liter Inhalt. Als stoßfeste Verpackung für diese Erzeugnisse benutzte man Weidenkörbe. Bei diesen Firmen waren schon Facharbeiter beschäftigt, die zum größten Teil aus West- und Süddeutschland stammten und neue Korbmacher ausbildeten. Ehemalige Messerschmiede und Ziegler benutzten diese Gelegenheit, um zu einer dauerhaften Verdienstmöglichkeit zu kommen. Anfangs gingen sie noch im Sommer auf Wanderschaft, während sie nur im Winter in den Korbmachereien der Glashütten in Obernkirchen und Rinteln arbeiten. Bald aber arbeiteten sie das ganze Jahr hindurch in der aufblühenden Industrie ihrer Heimat. Warum sollten sie noch in die Fremde ziehen, wenn sie in der Heimat ausreichenden Verdienst hatten? In den Glasfabriken von Obernkirchen und Rinteln erlernten also die ersten Korbmacher ihr Handwerk und Korbmacherei Meyer im Gallenortvervollkommneten bald ihre Fertigkeit. Schon um das Jahr 1850 arbeiteten eine Anzahl Korbmacher aus Exten in den beiden Glasfabriken. Sie gehörten zu den ersten Korbmachern unseres Kreises. Etwas später, um 1865, entstanden in Rinteln zwei selbständige Korbmacherbetriebe und etwa 15 Jahre danach wurden in Strücken 1 und in Exten 3 Korbmachereibetriebe gegründet. Im Jahr 1878 entstand auch die bis in die 1950er Jahre größte Korbmacherei in Exten, nämlich die Korbwarenfabrik Hermann Meyer im Gallenort. (hier links im Bild)

Exten(rechts, verschieden Korbarten) Diese Korbmachereien deckten nicht nur den Bedarf der Bevölkerung, sondern lieferten ihre Waren in erster Linie an die Glasfabriken unseres Kreises, später auch an die in Minden (Gerresheimer Glas) und in Nienburg und schließlich auch an die chemische Industrie. Der Aufschwung des Korbmachergewerbes war in diesen Jahren beachtenswert. Schon um 1900 hatte sich das Gewerbe auf fast alle Orte im Süden unseres Kreises ausgebreitet: Exten, Strücken, Hohenrode, Uchtdorf, Volksen, Krankenhagen, Silixen, Wennenkamp, Rinteln, Möllenbeck, Engern, Deckbergen und in geringem Umfang auf einige andere Dörfer.

Exten(links, fertige Körbe) Viele, die in den Glasfabriken gearbeitet hatten, machten sich nun selbständig. Der Absatz der Körbe war gesichert. Nun belieferte man nicht nur die Glasfabriken mit Körben, sondern arbeitete auch seit etwa 1900 für die Fischereihäfen Wesermünde, Cuxhaven, und Hamburg. Es wurden in Exten und den umliegenden Orten nun Körbe in der Hauptsache für den Frischfischversand hergestellt. Diese sichere Stellung veranlasste die meisten Arbeiter, ihr Arbeitsverhältnis mit den Glasfabriken zu lösen und in eigener Werkstatt, „Bude“ genannt, Körbe zu flechten. Zu diesen Betrieben kam eine große Anzahl von Einmann-Werkstätten, die stark von einem Großbetrieb abhängig waren und deshalb wohl als richtige Hausgewerbetreibende bezeichnet werden können. Sie erhielten die Rohmaterialien von einem der größeren Betriebe und verpflichteten sich dafür, die Fertigware wieder an diese zu liefern.

Exten(im Bild rechts, die Körbe werden zum Bahnhof gebracht) In Exten, das immer das Zentrum der Schaumburger Korbmacherei gewesen ist, lebten um diese Zeit von 600 Einwohnern allein 400 von der Korbindustrie. Sie stellten etwa 80.000 Körbe im Jahr her. Während des ersten Weltkrieges stellte man nicht nur Schrott- und Fischkörbe her, sondern auch Geschoßkörbe, für die damals kaum genügend Arbeitskräfte vorhanden waren, weil die Männer im Kriegsdienst standen. Die Entwicklung der Korbmacherei setzte sich auch nach dem Friedensschluss fort. Die Korbmacherei wurde zur Korbindustrie und verschrieb sich mehr und mehr der Fischereihäfen.

Exten(im Bild links, Korbfabrik Meyer) Waren es vor dem ersten Weltkrieg 70.000 Körbe, die jährlich in Exten hergestellt wurden, so wuchs die Zahl bald in die Hunderttausende und Millionen. Die Weide und der Korb wurden beherrschend in der Heim- und Fabrikarbeit. Die jungen Leute wurden in zunehmendem Maße als Korbmacher ausgebildet; viele Besitzer kleinbäuerlicher Betriebe wandten sich in den Zeiten der Hochkonjunktur der Korbmacherei als einer lohnenden Nebenbeschäftigung zu. Die Frauen stellten Korbdeckel und Kappen her, und selbst die größeren Kinder griffen in der Heimarbeit zu, wenn Not am Mann war. Das waren die Zeiten, zu denen in Exten das Geld rollte, als auch die Weidenkorbflechterei einsetzte und Korbsessel, Wäschekörbe und andere Artikel hergestellt wurden. In Exten lebten damals 110 bis 120 Familien mit mindestens 400 bis 500 Köpfen bei einer Gesamtbevölkerung von 950 von der Korbflechterei; man arbeitete in 6 großen und 22 kleinen Betrieben: das halbe Dorf lebte von der Korbindustrie.

Jedoch änderten sich die Zeiten. Es ging nicht immer hoch her in Exten. Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg war der Beschäftigungsgrad oft sehr unterschiedlich. Inflation und Weltwirtschaftskrise von 1931 brachten eine große Arbeitslosigkeit. Die Löhne erreichten einen Tiefstand wie kaum je zuvor. In diesen Jahren musste die Korbindustrie um ihre Existenz ringen. Aber man kämpfte sich wieder in die Höhe. 20 und mehr Jahre lang gab die Korbindustrie dem Wirtschaftsleben der Gemeinde Exten immer neuen Auftrieb. Der größte Teil der Bevölkerung hatte während dieser Jahre gute Arbeit und ausreichend Verdienst. Allmählich erholte sich wieder die Extener Wirtschaft. Während des 2. Weltkrieges musste die Produktion von Körben wieder auf vollen Touren laufen. Es wurden wiederum Millionen von Munitionskörben für die Wehrmacht benötigt; jedoch war der Bedarf nicht so groß wie im 1. Weltkrieg. Außerdem fertigten die Korbflechter für den Bau des Westwalles große Weidenmatten an, die man dazu benutzte, die aufgeschütteten Erdmassen zu befestigen und so die Rutschgefahr zu beseitigen.

Exten(im Bild links, Körbe werden auf dem Bahnhof in Exten verladen) Die Zeit unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg war die schwerste für die Extener Korbmacher. Der Fischtransport hatte sich zum größten Teil auf andere Transportarten umgestellt, die Eisenindustrie hatte für Verpackung noch nicht den rechten Bedarf, und die chemische Industrie konnte auch noch nicht wieder genug Korbflaschen aufnehmen, um Exten voll beschäftigen zu können. Wo die Korbmacher Abnehmer fanden, bot man in diesen Jahren so niedrige Preise, dass sich die Herstellung von Körben fast nicht mehr lohnte. Hinzu kam noch, dass die Korbindustrie nach dem verlorenen 2. Weltkrieg von ihren Weidequellen im Osten Deutschlands (Schlesien, Warthegau) und in Polen abgeschnitten war. Im Westen genügenden Ersatz zu beschaffen, stieß auf Schwierigkeiten. Man musste sich mit den vorhandenen Mengen an der Unterelbe, im Rheinland und im Braunschweigschen Gebiet begnügen. Nach der Währungsreform bezogen die Extener Korbmacher ihre Weidenvorräte aus Holland und Belgien. Diese beiden Länder konnten zwar den Ausfall im Osten ausgleichen, doch bringt der Weidenbezug von dort wegen des Zolles und des Transportes erhöhte Kosten mit sich. In den 1950ern hat man mit Neupflanzungen an der Weser begonnen, aber diese deckten nicht den Bedarf. Man bezog deshalb noch Weiden aus der Stader Gegend, aus dem Gebiet von Lüneburg bis zur Elbe und aus dem Weidenanbaugebiet rund um Syke bei Bremen, das dort die Weidenanbaugenossenschaft der Schaumburger Korbmacher unterhielt. Bis 1952 traten aber noch erhebliche Absatzschwierigkeiten auf. Für die Hunderttausende und Millionen Körbe, die früher in Exten produziert wurden, findet man bald nicht mehr genügend Käufer. Die Nachfrage nach Flaschenkörben, denen im Bandeisenkorb für Flaschen eine Konkurrenz entstanden war, erholte sich zuerst wieder. In den 1950er Jahren war die Blütezeit der Extener Korbindustrie aber nun endgültig vorbei.

Exten(links, geschälte und ungeschälte Weiden) Der weitaus größte Teil wird ungeschält benutzt zur Herstellung von Körben für die Industrie. Ein sehr geringer Teil der Weiden wird im Frühjahr geschält. Während die ungeschälten Weiden eine bräunliche Farbe haben, sehen die geschälten gelb aus. Diese geschälten Weiden benutzt man zur Herstellung für die Haushaltswaren, zum Beispiel für Waschkörbe, Korbsessel usw. Eine dritte Möglichkeit ist, die Weiden zu kochen. Sie nehmen dann eine rötliche Farbe an und werden zur Herstellung von Zierkörbchen und Spielwaren benutzt.

ExtenWie wird nun Korb geflochten? Zur Herstellung eines Korbes schneidet der Korbmacher 6 gleichlange Bodenstöcke, je nach der Größe des Korbes. Daraus stellt man ein Kreuz her. Die einzelnen Stöcke müssen voneinander den gleichen Abstand haben, so dass ein Kreis entsteht; dieser wird nun ausgeflochten. Nun werden „Staken“, deren Anzahl sich nach der Größe des Korbes richtet (z.B. hat ein 60 Liter-Korb 27 Staken), in den geflochtenen Boden gesteckt und dort befestigt. Jetzt wird der Weidenring aufgesetzt. Er soll verhindern, dass die Staken umkippen. Nun wird der Korb bis zur gewünschten Höhe geflochten. Als letztes wird zu beiden Seiten des Korbes ein Griff gedreht und der Korb sauber „ausgeputzt“.

ExtenIn der Glasindustrie werden 3 verschiedene Korbarten verwendet: Bei dem „Demijohn“ liegt das Geflecht bis zum Hals der Flasche an. Der Flaschenkopf wird mit einer Kappe verschlossen. Bei der Korbflasche wird das Glas in einen mit reichlich Stroh ausgeschlagenen Korb gesetzt, der danach mit einem Deckel abgedeckt wird. Der Kopf der Flasche wird wiederum mit einer Kappe verschlossen. Schließlich kennt man noch den Glasballon im Korb. Während Demijohn und Korbflasche ganz von Korbgeflecht umschlossen werden, bleiben bei dem Ballon Hals und Kopf der Flasche frei. Das Glas wird also nur in einen Korb, der mit Stroh ausgeschlagen ist, eingesetzt. Außer den Körben für die Glasindustrie wurden noch in Exten Fischkörbe, Kleineisenpackkörbe, Körbe für das Braunschweiger Gemüseanbaugebiet, für die Konservenfabriken und die Forstbaumschulen und Kartoffelkörbe hergestellt.

Exten1956 fielen von jährlich 250.000 hergestellten Körben in Exten, 120.000 auf die Firma Meyer. Die anderen wurden in den Korbmachereien Edeler und Röhmeier zum größten Teil in der Hausarbeit hergestellt. Von den 250.000 Körben waren damals 55 % Flaschenkörbe und 15 % Eisenpackkörbe. Der Drahtkorb, der der Extener Korbindustrie eine Zeit lang Konkurrenz machte, setzte sich nicht durch. Bei der Firma Meyer fertigte ein Korbmacher im Schnitt 10-15 Körbe pro Tag. Der Verdienst war nach Stückzahl berechnet.

Weiden und Körbe bestimmte über viele Jahre das Dorfbild von Exten. Auch diese Industrie hat die Zeit nicht überdauert. Die Extener mussten sich bald neuen Einnahmequellen zuwenden.

Exten(im Bild rechts, Bassgeigenkorb) Auch Spezialaufträge wurden in Exten bearbeitet. Das Foto zeigt eine Spezialanfertigung für den Transport einer Bassgeige. Ein Orchester hat sich für jedes Instrument spezielle Reise- und Transportkörbe fertigen lassen.

 

nach Gerhard Thon
Bilder vom Korbmacher Meyer von Rudolf Meyer

 


 

aus der Schaumburger Zeitung:

Hamburger Fische wurden in Extener Weidekörben verschickt

Exten (who). Handgeflochtene Weidenkörbe werden heute eigentlich nur noch zu Dekorationszwecken verwendet – in Exten war die Industrie rund um den Korb jedoch für mehrere Dekaden der größte Wirtschaftszweig. Eine frühe Hofansicht aus Exten: Körbe über Körbe stapeln sich vor dem Haus. Zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg werden pro Jahr Hunderttausende Körbe in Exten geflochten. Repro: who Um die Wende zum 20. Jahrhundert brachten tüchtige Männer aus Extens Bevölkerung das Korbmacherhandwerk zur Blüte und schafften so Arbeit für das ganze Dorf. Besonders die Glasfabriken Heye in Obernkirchen sowie Stoevesandt in Rinteln waren als Großglas-Hersteller von Ballons mit fünf bis 60 Liter Inhalt Hauptabnehmer für die stoßfesten Weidenkörbe aus Exten. Nicht zuletzt Facharbeiter der beiden Glashütten, die zum größten Teil aus West- und Süddeutschland stammten, bildeten die ersten Extener Korbmacher aus, darunter viele ehemalige Messerschmiede und Ziegler.

Um 1865 entstanden in Rinteln zwei selbstständige Korbmacherbetriebe und etwa 15 Jahre später wurden in Exten drei Betriebe sowie einer in Strücken gegründet. 1878 entstand die bis in die fünfziger Jahre größte Korbmacherei in Exten, die „Korbwarenfabrik Hermann Meyer“ im Gallenort. 1956 entfielen von jährlich 250 000 hergestellten Körben in Exten 120 000 auf die Firma Meyer. Bei dem Unternehmen fertigte ein Korbmacher im Schnitt zehn bis 15 Körbe pro Tag und wurde nach Stückzahl entlohnt.

Die Körbe gingen an die Glasfabriken in Schaumburg und später auch an die in Minden und Nienburg sowie schließlich auch an die chemische Industrie. Schon um 1900 hatte sich das Gewerbe auf fast alle Orte im Süden des Kreises ausgebreitet. Viele Korbmacher, die bislang in den Glasfabriken gearbeitet hatten, machten sich selbstständig, denn der Absatz der Körbe war gesichert.

So auch durch neue Kunden in den Fischereihäfen Wesermünde, Cuxhaven und Hamburg. Deshalb wurden in Exten und den umliegenden Orten nun auch Körbe für den Frischfischversand hergestellt. In der Folge entstanden auch zahlreiche Ein-Mann-Werkstätten, die ihre Rohmaterialien von einem der größeren Betriebe erhielten und dafür Fertigware lieferten. In Exten selber lebten in dieser Zeit von 600 Einwohnern allein 400 von der Korbindustrie. Sie stellten etwa 80 000 Körbe im Jahr her.

Während des Ersten Weltkrieges wurden neben Schrott- und Fischkörben auch Geschosskörbe gemacht. Die Verwendung der Extener Körbe wurde immer vielfältiger, darunter gab es auch feinere Ausführungen wie zum Beispiel Korbsessel, Wäschekörbe oder Behälter für den Versand von Kontrabässen.

Die Entwicklung der Korbmacherei setzte sich auch nach dem Ersten Weltkrieg stetig fort und wurde zu einer wahren Korbindustrie: Bald wurden Hunderttausende und Millionen Körbe pro Jahr allein in Exten geflochten. Damals lebten 110 bis 120 Familien mit 400 bis 500 Köpfen bei einer Gesamt-Einwohnerzahl von 950 Menschen von der Korbflechterei. Es gab sechs große und 22 kleine Betriebe.

Der Zweite Weltkrieg stoppte diesen Boom: Die Extener Korbindustrie konnte ihre vorherige Stärke danach nicht wieder erreichen, unter anderem weil die Anforderungen der Abnehmer sich geändert hatten. Neue wirtschaftliche Entwicklungen brachten dann das endgültige Aus für den handgeflochtenen Weidenkorb aus Exten

© Schaumburger Zeitung, 26.10.2009